GWG – Mein Blog.

News und Informationen von der GWG und aus Halle-Neustadt

  • Foto: K.F. Messerschmidt
  • Foto: K.F. Messerschmidt
  • Montage: K.F. Messerschmidt

Vorm Eingang des halleschen Ordnungsamtes im Neustädter Bildungszentrum bleibt mancher Besucher verdutzt stehen. Der Grund sind vier lebensgroße Bronzestatuen, die dort nicht aufgestellt wurden. Jemand hat sie vielmehr kopfüber an die Decke montiert! Wie es dazu kam, hat uns ihr Schöpfer Klaus Friedrich Messerschmidt verraten.

Wie kann es passieren, dass eine ganz offensichtlich stehende Figurengruppe kopfüber von der Decke hängt? Kam die ausführende Firma aus Australien oder hat da jemand das Ordnungsamt mit etwas Unordnung verblüffen wollen?

Weder noch. Das Oberste hier einmal nach unten zu kehren, hab ich mir ausgedacht. Und das bevor das Ordnungsamt als Standort ins Spiel kam. Mein liebster Platz für diese Installation wäre die Unterseite der Hochstraße gewesen, direkt überm Knoten 46.

Wie kommt man auf so eine krasse Idee?

Zugegeben, da muss einiges passieren. So wie diesen vier Figuren. Schon deren Geburt war ein Drama, das fast zehn Jahre gedauert und mir einige Tiefpunkte meines Lebens beschert hat. 1980 erhielt ich den Auftrag vom Rat der Stadt Halle-Neustadt zum Thema „Kampf der Arbeiterklasse im Mansfelder Land“. Als ich die Gruppe im Herbst 1989 endlich aufstellen konnte, gab es nicht einmal eine offizielle Übergabe. Es war Wendezeit. Drei Jahre später war eine der Skulpturen gestohlen, eine umgeworfen und alle beschmiert.

Um die verbliebenen vor der Schrottmafia zu bewahren, hab ich sie im Juli 1992 mit einem Bekannten am helllichten Tag in Sicherheit gebracht. Außer einem kleinen Jungen, der fragte, was wir da machen, hat das keinen der vielen Vorüberkommenden interessiert. Die drei Bronzen standen dann viele Jahre lang in meinem Atelier herum. Bis ich sie Halles Oberbürgermeister Klaus Rauen dort eines Tages zeigte und er meinte, sie müssten wieder einen Platz in der Stadt finden. Sie waren ja nach wie vor deren Eigentum!

Damit begann das zweite Leben Ihres Kunstwerks, kopfüber?

Erst einmal begann eine intensive Suche – nach einer neuen Idee, einem neuen Ort und einer Gießerei für die Wiederherstellung der fehlenden Figur. Das Ensemble einfach nur woanders wieder aufzustellen wie zuvor, das kam für mich allerdings nicht in Betracht. Dafür hatte sich die die Gesellschaft, die Welt um uns herum und wir selbst, auch ich, uns zu sehr verändert. Manches schien buchstäblich auf den Kopf gestellt. Genau das brachte mich auf die Idee, diesen Perspektivwechsel mit künstlerischen Mitteln vor Augen zu führen, indem ich die Figuren umdrehe. Nachdem mein Vorschlag, sie unter der Hochstraße anzubringen, sich als nicht genehmigungsfähig herausstellte und einige andere Orte ebenfalls ausschieden, konnte ich die Idee am neu errichteten Ordnungsamt in die Tat umsetzen. Am 9. Februar 2001 kehrten die vier Figuren wieder zurück ins öffentliche Bild der Stadt, nun unter dem Titel „Reflexion Geschichte“ – und mit einer feierlichen Übergabe!

Für die Reflexion steht auch ein Spiegel, der unter den Plastiken auf dem Boden angebracht ist…

… und der es dem Betrachter möglich machen soll, die Figuren von „oben“ anzuschauen – und sich selbst, gewissermaßen als Teil der Geschichte, mittendrin.

Was leider nicht mehr funktioniert, weil der Spiegel zerkratzt und somit blind ist.

Das ist wie im wirklichen Leben. Wenn wir es nicht schaffen, den Spiegel, in dem wir uns betrachten, von Zeit zu Zeit zu putzen, trübt sich der Blick auf uns selbst – und auf die Welt.

Wie konnten Sie die in der Wendezeit gestohlene Figur wiederherstellen?

Ich hatte für alle vier Bronzen Gipsmodelle angefertigt. Davon ließ sich eine neue Gussform herstellen. Heute wäre das nicht mehr möglich. Als ich 2006 mein Atelier in Wölkau geräumt habe, wanderten fünf Tonnen solcher Gipskopien in den Container, mein halbes Lebenswerk. Heute besitze ich nur noch Erinnerungen auf Papier und Festplatte von meinen Bronzearbeiten.

Das ist vermutlich umso schmerzhafter, wenn es, wie im Falle der vier Skulpturen, fast ein Jahrzehnt brauchte, um sie zu erschaffen. Was hat damals eigentlich so lange gedauert?

Es war vor allem die Diskussion mit den zuständigen Kommissionen, die endlos Kraft und Zeit gekostet hat. Im Laufe der Jahre habe ich mindestens fünf, teils sehr unterschiedliche Entwürfe angefertigt, als Holz- oder Gipsmodelle, dazu viele Zeichnungen. 1985 konnte ich einige dieser Entwürfe in der Neustädter Klubgalerie ausstellen. Das Plakat zur Ausstellung besitze ich noch. Mal scheiterte es an Desinteresse, mal an angeblich fehlenden technischen Möglichkeiten. Es war eine harte Zeit.

Das Plakat für die Ausstellung in Halle Neustadt 1985 zeigt die Skulptur „Flugversuch II“.

Für den beauftragten Titel „Der Kampf der Arbeiterklasse im Mansfelder Land“ sehen die Figuren aber erstaunlich friedlich aus, denn in den Märzkämpfen 1921, an die das Kunstwerk erinnern sollte, ging es ja ziemlich blutig zu. Haben Sie das Thema bewusst verfehlt?

Ich wollte keine Kampfszene abbilden, sondern die Verletzlichkeit des Menschen zum Thema machen. Deshalb entschied ich mich, nackte Körper darzustellen. Deshalb ist ein kleines Mädchen dabei, als Symbol der Schutzbedürftigkeit. Deshalb hat einer der Männer, der auf einem Sockel stand, nur einen Arm. Deshalb stieg ein Zweiter von seinem Sockel herunter und der Dritte war dabei, weiterzugehen. Die Figuren sollten nach meinen ursprünglichen Plänen an einer Straße aus Mansfelder Schlackesteinen aufgestellt werden, die pyramidenartig in einer Bergbauhalde gipfelt. Die Kämpfe wollte ich durch eine Barrikade und fossilienartige, begehbare Reliefs aus Bronze als „Spuren der Vergangenheit“ sichtbar werden lassen. Die Fossilien sollten Handgranaten, Schlagstöcke, Helme und andere Instrumente der Gewalt zeigen.

Das ist aber so nie realisiert worden?

Nein. Die Pyramidenspitze sei nicht herstellbar, war eine der Ausreden. Am Ende stellte ich die vier Figuren in einer übermannshohen Umhausung aus Schlackesteinen auf. Ohne Halde, ohne Fossilien. Selbst einige Jahreszahlen aus Bronze, die noch an den Wänden montiert werden sollten, wurden nie geliefert. Eine ziemlich trostlose Installation. Nachdem ich die Figuren 1992 geborgen hatte, hat irgendein Witzbold die Wände pinkfarben angesprüht.

Wo standen die Figuren damals?

Ganz im Westen der Neustadt, dort, wo man die Mansfelder Bergbauhalden in der Ferne sehen kann.

Klaus F. Messerschmidt - Kurzer Lebenslauf

  • 1945 in Sangerhausen/Südharz geboren.
  • 1972 Diplom im Bereich der Werkkunst an der Hochschule Burg Giebichenstein.
  • Ab 1972 farbige Holzskulpturen und große „Altäre“: Große Kreuzigungsgruppe, Notzeitenaltar, Ende der Krummhälse u.a.
  • Denkmale für T. Müntzer, F. Nietzsche, W. Cramer, J.S. Bach u.a.
  • 2006 Verlust von Haus, Hof und Atelier. Buchprojekte mit dem Mitteldeutschen Verlag.
  • 2022 erscheint „Dr. Laurin und das Schweißwunder auf der Einlegesohle“.
  • KFM lebt und arbeitet als Bildhauer und Autor in Halle/Saale

1 Kommentar

  1. Messerschmidt am

    Interessant, gut und lesbar gemacht. Danke!
    Klaus F. Messerschmidt

Jeder Beitrag wird von Hand freigeschaltet. Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name und die E-Mail im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden.
Mit der Freischaltung werden jedoch nur Ihr Name und Ihr Kommentar veröffentlicht.