Böllberg war Mekka des Radsports
Bereits 1886 entstand in der Merseburger Straße die erste Radrennbahn. Nach deren Abriss im Jahr 1919 mussten die Radsportler auf Aschenbahnen ausweichen. Es sollten mehr als 10 Jahre vergehen, bevor der Traum von einer neuen, modernen Radrennbahn realisiert werden konnte. Das im Juni 1930 eröffnete 333,33 Meter lange Holzoval mit 10.000 Zuschauerplätzen galt damals als die schnellste Bahn im Deutschen Reich. Bei Steherrennen wurden Geschwindigkeiten von über 100 km/h gefahren.
Architekt mit großem Namen: Clemens Schürmann
Schürmann: Der Name hat in der Radsportwelt einen erstklassigen Klang. Clemens Schürmann, der Kopf hinter dem ästhetischen Design der Böllberger Radrennbahn, war selbst Profi-Radrennfahrer, bevor er 1925 sein Architekturbüro in Münster gründete. Bis heute hat die von ihm gegründete Firma rund 150 Radrennbahnen in aller Welt errichtet. Zu den Referenzen zählen u. a. 9 olympische Bahnen, darunter auch die für Tokio 2020! Halle trägt nach Auskunft von Ralph Schürmann, Inhaber in 3. Generation, im Firmenarchiv die Projektnummer 5. In der Akte fand sich übrigens auch eine Anfrage aus Halle von 1947, die neue Radrennbahn in der Paracelsusstraße betreffend. Infolge der deutschen Teilung wurde dieser Auftrag jedoch nicht nach Münster vergeben…
Von der Weltwirtschaftskrise kalt erwischt
Als der Verein Radrennbahn Halle (V.R.H.) 1928 den Bau eines neuen Wettkampfovals ankündigte (Artikel der Saalezeitung, links), war die Vorfreude in der Region riesig. Im Juni 1930 wurde die Bahn von den Weltmeistern Willy Arend und Walter Engelmann eingeweiht. Wenige Wochen später bewunderten Radsportfans aus ganz Deutschland die neue Arena beim Bundesfest des BDR. Doch die Zuschauerzahlen blieben in der grassierenden Weltwirtschaftskrise hinter den Erwartungen zurück. Angesichts zunehmender Defizite wurde die Konzession 1935 an den Berliner Veranstalter Tadewald weitergereicht. Ein Jahr später retteten die Hildebrandschen Mühlenwerke als Verpächter die Bahn aus der Insolvenz. 1938 jedoch wurde die Bahn endgültig abgerissen. Mitteldeutsche National-Zeitung (rechts oben) und Saale-Zeitung (rechts unten) berichteten darüber.
Zuschauermagnet zwischen Brauerei und Mühlenwerken
4.000 bis 8.000 Besucher lockten die Radsportveranstaltungen regelmäßig nach Böllberg. Auch wenn die Erwartungen damit nicht erfüllt wurden, war die Bahn doch ein Wirtschaftsfaktor für den Ort. So wurde die Gaststätte „Rennbahnterrassen“ direkt unterhalb der Bahn am Saale-Ufer (links oben, unteres Bild, im Hintergrund die Zuschauertribünen) eigens dafür errichtet. Mit Postkarten (oben rechts vom Eröffnungsrennen 1933) und anderen Souvenirs wurden Umsätze und zugleich Werbung gemacht. Die direkt neben der Bahn produzierende Engelhardt-Brauerei (im Bild unten rechts) zählte zu den wichtigsten Finanziers des Projektes und lieferte im Gegenzug ihr Bier für die Veranstaltungen. Die Mühlenwerke stellten als Verpächter ihren Grund und Boden zur Verfügung.
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