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  • Sammlung: G. Brode
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  • Foto: Falk Wenzel

Dieses Jahr wurde der Tunnelbahnhof in Halle-Neustadt 50 Jahre alt.

Grund genug, sich seine Geschichte einmal genauer anzuschauen.

Die Wartenden wussten genau, wo sie in dem fast einen halben Kilometer langen Tunnel stehen mussten, damit sich eine der Waggontüren exakt vor ihnen öffnete. Wer täglich mit „seinem“ Pendlerzug fuhr, stieg gewöhnlich immer in denselben Wagen, saß auf demselben Platz neben denselben Leuten. „Manchmal habe ich mir einen Spaß draus gemacht, ein paar Meter weiter zu fahren“, schmunzelt Lokführer Uwe Schulz, der noch die Boomzeit des Bahnhofs vor 1990 aus der Führerstandsperspektive kennt. „Dann musste man natürlich ein paar unsanfte Pelzer-Sprüche aushalten.“ „Pelzer“ - so hießen die Buna- und Leuna-Arbeiter im Volksmund.

Zu den Stoßzeiten half die Routine der Berufspendler freilich auch den Bahnern bei der Planerfüllung. Denn wenn ab kurz vor fünf Uhr morgens die bis zu 320 Meter langen Doppelstockzüge im Sieben-Minuten-Takt aus Nietleben in den Neustädter Untergrund rollten, gab es kaum Reserven: „Die älteren E-Loks der Baureihe 2-42 schafften maximal Tempo 100“, erinnert sich Uwe Schulz an 1989, „100 musste aber auch gefahren werden, um den Fahrplan einzuhalten“. Wenn es eng wurde, sei es selbst beim Ein- und Aussteigen um Sekunden gegangen: „Ab einer Minute Verspätung“, berichtet der Lokführer, „meldete sich der Dispatcher“.

„Jeden Morgen 10.000 Menschen aus Halle-Neustadt pünktlich in die Chemiefabriken zu bringen und wieder zurück, das war keine kleine Herausforderung“, bestätigt Günter Brode. Als Verkehrsplaner im Büro für Städtebau und Architektur beim Rat des Bezirkes hatte er bereits 1960 am allerersten Modellentwurf von „Halle-West“ mitgearbeitet und später im Team um Chefplaner Richard Paulick.

„Die anfängliche Idee war, einen klassischen Bahnhof ungefähr im Bereich der heutigen Soltauer Straße zu errichten“, erinnert sich Brode, „und die Gleise um die Stadt herumzuführen“. Doch das hätte viel Zubringerverkehr in der Stadt erzeugt. So entstand „ab etwa 1963 die Idee, den Bahnhof im Zentrum zu errichten, wo er für Tausende Bewohner und auch die zahlreichen Beschäftigten der hier gelegenen Geschäfte und Büros zu Fuß erreichbar sein würde“. Damit die Schienen nicht die ganze Stadtmitte zerschnitten, so Brode, „entstand die Idee, den Bahnhof unter der Erde verschwinden zu lassen“.

Die erste Reaktion von Chefplaner Paulick auf den Vorschlag lautete „Nicht mit mir“, wie der Hallenser sich erinnert. Denn im einzig möglichen Gleisverlauf zum Tunnel lagen, unweit der heutigen Haltestelle Zscherbener Straße, etwa zehn Einfamilienhäuser und der Passendorfer Friedhof mit seiner kleinen Kapelle.
Erst nachdem die Hausbesitzer einem Umzug zugestimmt hatten, gab Paulick etwa 1966 auch der Umbettung der Toten und somit dem Bau des Tunnelbahnhofs grünes Licht. Gut ein Jahr später fuhren bereits die ersten „Pelzerzüge“, damals noch als Dieseltriebwagen (im Volksmund: „Ferkeltaxen“) sowie S Bahnen bis zum Haltepunkt Zscherbener Straße.
Mit wachsenden Pendlerzahlen standen die Planer vor der Aufgabe, sieben Züge etwa gleichmäßig zu füllen. Brode: „Wer fährt freiwillig schon vor fünf Uhr los, wenn die Schicht um 6 Uhr beginnt und die Fahrzeit nach Buna nur rund zehn, nach Leuna nur gut 20 Minuten beträgt?“

Das Problem löste sich durch eine „natürliche Arbeitszeitstaffelung“, wie der Verkehrsplaner es nennt, fast von selbst: Weil die Werksbahnhöfe für die „Pelzerzüge“ aus Sicherheitsgründen außerhalb der Chemiefabriken errichtet werden mussten, ergaben sich für die Beschäftigten dort bis zu 35-minütige Wege durch die Betriebe, hinzu kamen Umkleidezeiten. „Wer am längsten brauchte, fuhr zuerst los“, fasst der Hallenser die sich daraus entwickelnden morgendlichen Abläufe am Neustädter Bahnsteig 2 zusammen, „es folgten die so genannten Weißkittel – Mitarbeiter von Laboren, Verwaltung und Serviceeinrichtungen. Den Abschluss bildete der ,Muttizug‘ mit Eltern, die ihre Sprösslinge zuvor noch in die Kindereinrichtungen bringen mussten.“
Als der Tunnelbahnhof am 27. September 1969 eingeweiht wurde, waren seine Empfangsgebäude an der Magistrale und der späteren Albert-Einstein-Straße noch Baustellen. Doch die rasant wachsende Stadt konnte nicht länger auf ihren zentralen Bahnhof warten, mit dem zugleich die Elektrifizierung der S-Bahnstrecken zum Hauptbahnhof und in die Chemiefabriken gefeiert wurde.

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