Im September 2017 stimmten 57 Prozent der Hallenser bei einem Bürgerentscheid mehrheitlich für die Nutzung der Hochhausscheibe A als Verwaltungsstandort. 2021 soll die Stadt einziehen. Vielleicht wäre das ein Weckruf - stehen doch vier der fünf Neustädter Wahrzeichen seit langem leer.
Ende der 1960er Jahre begannen die Bauarbeiten. Zuvor hatten einige Kollegen aus der Brigade im schwedischen Malmö die Allbeton-Technologie studiert, die bei den fünf Scheiben zum Einsatz kommen sollte. Gemeinsam mit Spezialisten aus Schweden wurde dann als erstes die Scheibe E errichtet - die anderen vier folgten rasch. Schließlich warteten die Chemiewerke in Buna und Leuna sowie die Martin-Luther-Universität schon seit Ende der 60er Jahre sehnsüchtig auf die Fertigstellung der ersten vier Scheiben, die sie als Wohnheime benötigten. (Die Scheibe D wurde von der Stadt und Unternehmen als Bürogebäude genutzt.)
Weil die Baukosten mit etwa 16 Millionen DDR-Mark pro Gebäude jedoch um etwa fünf Prozent teurer ausfielen als ursprünglich geplant, sah besonders die Universität sich gezwungen, auf „maximale Auslastung“ zu setzen, um „die Kennziffern pro Internatsplatz zu senken“, wie aus Briefen hervorgeht.
Das Allbeton-Experiment war mit Fertigstellung der fünf Hochhausscheiben keineswegs beendet. Die reibungslos funktionierenden Taktstraßen und vorhandenen technischen Ausrüstungen wurden weitergenutzt, nach einigen Veränderungen nun unter dem neuen Label ,Hallesche Monolithbauweise“ - damit wurden dann bis 1990 noch die Punkthochhäuser in Neustadt und in Halle gebaut.
Ob am UN-Hauptquartier in Manhattan, im Herzen Stockholms oder im Zentrum Halle-Neustadts: Hochhausscheiben bilden vielerorts unübersehbare Landmarken.
Die Idee für derartige Gebäude entstand ab 1925, inspiriert von den neuen Möglichkeiten des Stahlbetons, unter anderem in Dessau: Bauhaus-Architekten wie Walter Gropius oder Georg Muche, mit denen der spätere Halle-Neustädter Chefarchitekt Richard Paulick zu dieser Zeit eng zusammenarbeitete, dachten über gesündere und zugleich kostengünstige Alternativen zu den Mietskasernen der damaligen Großstädte nach. Ihr favorisierter Lösungsansatz: scheibenförmige Hochhäuser mit genügend räumlichem Abstand, um auch Bewohner der unteren Etagen in den Genuss von Luft und Sonne kommen zu lassen.
Die ersten Bauten nach diesem Vorbild entstanden 1934 und 1937 in Rotterdam. In den 1950er bis 70er Jahren erlebten Hochhausscheiben weltweit ihre Blütezeit. Dass Richard Paulick im Zentrum „seiner“ Planstadt gerade auf diese Dominanten setzte, spiegelte seine beruflichen Wurzeln ebenso wie den Zeitgeist wider.
Allbeton-Bauweise: ein Patent aus Schweden
Ganze Gebäude Etage für Etage wie „aus einem Stück“ wachsen zu lassen: diese Idee verwirklichte die schwedische Firma Skånska Cementgjuteriet (zu deutsch: Schonische Zementgießerei) 1952 erstmals beim Bau eines Hochhauses in Malmö. Schlüssel der Technologie waren zusammenschraubbare, wiederverwendbare Schalungssysteme im Format der benötigten Wände und Decken. Damit ließen sich glatte Oberflächen erzeugen sowie die Ver- und Entsorgungsleitungen bei der Herstellung in die Betonstruktur integrieren.
Nach dem unter dem Namen „Allbeton“ lizenzierten Patent wurden Bauwerke in aller Welt errichtet, unter anderem auch das Märkische Viertel und Gropiusstadt im Westen Berlins. Hallesche Baufachleute entwickelten es in den 1970-er Jahren weiter zur „Halleschen Monolithbauweise“.
Skånska Cementgjuteriet (seit 1984: Skanska AB) avancierte ab den 1950-er Jahren zu einem der größten Baukonzerne Europas. 1963 bis 68 sorgte das Unternehmen mit der Verlegung der Felsentempel im ägyptischen Abu Simbel für Aufsehen. Bis zum Jahr 2000 errichtete es die spektakuläre Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden.
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